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Branchenperspektiven Nachhaltigkeit und ESG-Ratings

Branchenperspektiven Nachhaltigkeit und ESG-Ratings

Written by

Chris Merklein

Chris Merklein
Analyst Published 04 Oct 2021 Read time: 9

Published on

04 Oct 2021

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9 minutes

Aufgrund der Klimakrise legen Wirtschaft und Politik seit einiger Zeit einen stärkeren Fokus auf ein nachhaltigeres Wirtschaften. Die Einhaltung von ESG-Kriterien (ESG = Environment, Social, Governance), die dabei helfen, Nachhaltigkeit im wirtschaftlichen Handeln zu quantifizieren, ist dabei von großer Bedeutung. Die Dringlichkeit zur Einhaltung solcher Kriterien wurde durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von April 2021, in dem das deutsche Klimaschutzgesetz aus dem Jahr 2019 für teilweise mit den Grundrechten unvereinbar erklärt wurde, noch einmal unterstrichen. Nicht ausreichende CO2-Einsparungsziele würden die Freiheit künftiger Generationen überproportional einschränken, so eine der Begründungen im Urteil.

Kosten des Klimawandels

Der Klimawandel stellt für zukünftige Generationen ein enormes Risiko dar, hat aber bereits heute schon deutliche Auswirkungen. Im Juli 2021 kam es zu einer großen Flutkatastrophe an Ahr und Erft, die nachweislich auch eine Folge des Klimawandels war. Die tatsächlichen Kosten der Flut dürften die 30 Milliarden Euro, welche die Bundesregierung in Form eines Aufbauhilfefonds zur Verfügung gestellt hat, weit überschreiten.

Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass der Klimawandel bereits heute hohe Risiken und finanzielle Schäden mit sich bringt. Laut Berechnungen der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft haben wetterbedingte Naturkatastrophen zwischen 1980 und 2019 weltweit direkte Schäden in Höhe von 4,2 Billionen US-Dollar verursacht. Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren, aber auch schwere Stürme und Starkregen mit Flutkatastrophen dürften als Folge des Klimawandels zukünftig häufiger auftreten und stellen im Allgemeinen sowie für bestimmte Branchen im Speziellen direkte physische Risiken dar. In der deutschen Gesellschaft ist bereits seit Jahren ein Anstieg des Umweltbewusstseins und damit der Bedeutung des Umwelt- und Klimaschutzes zu beobachten. Dieses führt einerseits zu Nachfrageverschiebungen hin zu nachhaltigeren Produkten. Andererseits verschärfen sich regulatorische Vorschriften für Unternehmen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit immer mehr. Unternehmen, die das Thema Nachhaltigkeit nicht berücksichtigen, dürften sich deshalb vermehrt Risiken ausgesetzt sehen.

Gesetzliche Grundlagen

Der Begriff Corporate Social Responsibility (CSR) umfasst mittlerweile die unternehmerische Sorgfaltspflicht (Due Diligence) bei der Einhaltung von Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards und wird durch die Europäische Union als „Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ definiert. 2014 wurde durch die CSR-Richtlinie der Europäischen Union, die 2017 in Deutschland umgesetzt wurde, eine Nachhaltigkeitsberichterstattung für börsennotierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern Pflicht. Seit 2019 bestehen für institutionelle Investoren Anforderungen an die Integration von ESG-Faktoren im Anlageprozess. Im Juli 2021 wurde durch die Europäische Kommission eine neue Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen vorgelegt, die zur Finanzierung der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft beitragen soll. Darin enthalten ist eine Überarbeitung der CSR-Richtlinie, durch welche die Zahl der von der Nachhaltigkeitsberichtspflicht betroffenen Unternehmen deutlich ansteigt. Zudem werden die zu berichtenden Inhalte erweitert und die EU-Taxonomie-Verordnung wird angewendet. Durch die EU-Klimataxonomie wird ein standardisiertes Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten geschaffen, wodurch auch Greenwashing vermieden werden soll. Hierdurch dürfte die Bedeutung von ESG-Ratings in den nächsten Jahren noch weiter zunehmen.

Warum ESG-Kriterien beachten?

Es besteht wissenschaftliche Evidenz, dass Unternehmen, die CSR-Kriterien beachten, bei ihrem operativen Geschäft nicht nur einem geringen Risiko ausgesetzt sind, sondern auch allgemein erfolgreicher am Markt agieren. Das CSR-Konzept beschreibt die Handlungen, die ein Unternehmen tätigt, um neben der Profitmaximierung auch soziale, ethische und gesellschaftliche Ziele zu verfolgen, die über die gesetzlichen Verpflichtungen hinausgehen. Obwohl CSR und ESG manchmal synonym verwendet werden, sind sie doch unterschiedlich zu verstehen. Während CSR den strategischen Managementansatz von Unternehmen betont, bildet ESG eine Rahmenstruktur, durch welche die Einhaltung von Nachhaltigkeitsverpflichtungen und die Exposition von Nachhaltigkeitsrisiken messbar und vergleichbar werden. Unternehmen tendieren beispielsweise dazu, die Kosten durch Klimaschutzmaßnahmen, die zeitnah entstehen, höher einzuschätzen als die Risiken und Kosten, die durch den Klimawandel entstehen. Dabei konnten bereits mehrere Studien zeigen, dass es günstiger ist, guten Klimaschutz zu betreiben, als den zukünftigen Kosten durch den Klimawandel ausgesetzt zu sein. Somit besteht für Unternehmen ein Anreiz, ihre Geschäftstätigkeiten auch nach ESG-Kriterien auszurichten.

Das Ziel der Europäischen Union ist eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050, während Deutschland bereits im Jahr 2045 die Klimaneutralität erreicht haben will. Zur Erreichung dieses Ziels ist eine enorme Transformation der Wirtschaft notwendig. Durch neue gesetzliche Regulierungen und dadurch entstehende Umwälzungen sind Sektoren, Branchen und Unternehmen hohen Transitionsrisiken, also Kosten durch die Transformation der Wirtschaft, ausgesetzt. Zudem machen sich, wie die Flutkatastrophe im aktuellen Jahr gezeigt hat, bereits die Folgen des Klimawandels deutlich bemerkbar, wodurch den Marktakteuren auch physische Risiken, also direkte Kosten durch Schäden, entstehen.

Ampel oder Jamaika?

Nach der Bundestagswahl 2021 kämpfen vier Parteien um die Regierungsbildung, die zwar alle mehr Klimaschutz versprochen haben, dabei aber sehr unterschiedliche Ansätze verfolgen. Auf die Bereiche nachhaltige Finanzierung und ESG-Ratings sind die Parteien in ihren Wahlprogrammen nur bedingt eingegangen. Die SPD fordert zum Beispiel, die öffentliche Beschaffung neben anderen Aspekten auch auf klimafreundliche Nachhaltigkeit auszurichten. Zudem will sie mehr nachhaltig zertifizierte Finanzprodukte und Staatsanleihen. Die Unionsfraktion will Deutschland zum führenden Finanzstandort für nachhaltige Produkte ausbauen. Weiterhin soll die Bundesverwaltung ihr Handeln und ihre Beschaffung an Nachhaltigkeitsindikatoren ausrichten. Bündnis 90/Die Grünen fordern unter anderem, dass sich öffentlich-rechtliche Banken, Versicherer und Pensionsfonds sowie der Bund aus umweltschädlichen oder menschenrechtsverletzenden Investitionen zurückziehen. Darüber hinaus sollen mehr nachhaltige Staatsanleihen auf den Markt kommen und alle Kapitalanlagen sollen eine transparente ESG-Nachhaltigkeitsbewertung erhalten, die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht überwacht wird. Lediglich die FDP machte in ihrem Wahlprogramm keine genaueren Angaben zu einem nachhaltigen Finanzmarkt.

Wie die genaue Regulierung bezüglich ESG-Ratings künftig ausgestaltet sein wird, bleibt deshalb vorerst offen. Insgesamt sollte jedoch klar sein, dass eine Regierung unter Führung der SPD den Staat als Akteur im Klimaschutz stärken dürfte, während eine unionsgeführte Regierung mehr auf privatwirtschaftliche Investitionen setzt. Zwar ist Bündnis 90/Die Grünen die einzige Partei, die ESG im Wahlprogramm konkret erwähnt, jedoch dürften ESG-Kriterien und -Ratings in der Zukunft auf jeden Fall eine größere Bedeutung erhalten.

Branchenperspektiven

Eine wichtige Maßnahme zum Klimaschutz ist die Reduktion des Treibhausgasausstoßes. Alle Wirtschaftszweige zusammen waren 2019 für 78,6 % der Ausstoßmenge in Deutschland verantwortlich, während der Rest auf private Haushalte entfiel. Die drei größten Emittenten waren dabei die Bereiche Energie, Verkehr und Lebensmittel. Unternehmen aus diesen Bereichen sind daher besonders hohen Transitionsrisiken ausgesetzt.

Energie

Der Energiesektor kann einen sehr wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten, denn allein der Bereich der Energieversorgung war im Jahr 2019 mit einem Anteil von 39,4 % des Treibhausgasausstoßes aller Wirtschaftszweige der mit Abstand größte Emittent in Deutschland. Die Transformation des Energiesektors ist bereits in vollem Gange und ist für eine zukünftig klimaneutrale Wirtschaft von immenser Bedeutung. Nur eine größtenteils klimaneutrale Energieversorgung ermöglicht es sehr energieintensiven Branchen, nachhaltig zu agieren. So hängt die Nachhaltigkeit der Mobilitätswende, mit Fokus auf Elektromobilität und Schienenverkehr, auch an der Verfügbarkeit von grünem Strom. Im Bereich Energie sind anhand von ESG-Ratings ganz klare Gewinner und Verlierer in Bezug auf Nachhaltigkeit zu identifizieren. So schneiden beispielsweise die Branchen Kohlebergbau, Förderung von Erdöl und Erdgas oder Mineralölverarbeitung bei ESG-Ratings schlecht ab.

Der Umstieg auf Elektromobilität wird sich zukünftig negativ auf die Förderung von Erdöl und Erdgas sowie die Mineralölverarbeitung auswirken, da die Nachfrage nach den Branchenprodukten deutlich sinken wird. Der Kohlebergbau ist durch das bereits beschlossene Ende der Kohleverstromung im Jahr 2038 negativ betroffen. Die Förderung von Steinkohle wurde bereits 2018 eingestellt. Die Branche der Elektrizitätsversorgung als Ganzes ist durch die Transformation der Energieerzeugung enormen Transitionskosten ausgesetzt. Jedoch geht die Branche der Erneuerbaren Energien als klarer Gewinner der nachhaltigen Energiewende hervor.

Verkehr

Ein weiterer großer Verursacher von Treibhausgasen ist der Sektor Verkehr und Lagerei. 12,9 % der Emissionen aller Wirtschaftszweige entfallen auf diesen Sektor, davon allein 4,6 % auf die Luftfahrt. Der gesamte Ausstoß von Treibhausgasen durch die Luftfahrt in Deutschland ist zwischen 2014 und 2019 sogar um durchschnittlich 2,4 % pro Jahr angestiegen. Somit weist beispielsweise die Personenbeförderung in der Luftfahrt ein schlechtes ESG-Rating auf. Diese Branche sieht sich hohen Transitionsrisiken ausgesetzt. Der Wandel der Branche zur Klimaneutralität ist mit sehr hohen Kosten für die Anschaffung emissionsärmerer Flugzeuge oder die Erforschung nachhaltiger Flugkraftstoffe verbunden.

Um die Emissionen im Bereich Verkehr zu reduzieren, ist eine Mobilitätswende nötig. Hiervon sollten vor allem die Personenbeförderung im Eisenbahnfernverkehr sowie der öffentliche Personennahverkehr profitieren. Besonders stark von der Verkehrswende betroffen sind die Hersteller von Kraftfahrzeugen. Durch politische Regularien ist der Umstieg auf Elektrofahrzeuge vorerst festgelegt. Die Transformation der Automobilindustrie ist mit hohen Transitionskosten verbunden. Hersteller müssen ihre Fabriken für die Produktion von Elektrofahrzeugen umbauen, und Ingenieure sowie andere Mitarbeiter der Kraftwagenhersteller und ihrer Zulieferer müssen von Verbrennungsmotoren auf Elektromotoren umgeschult werden, was ebenfalls hohe Kosten mit sich bringt.

Automobilhersteller stehen im Bereich ESG ohnehin seit Jahren im Fokus. Durch nicht ESG-konformes Handeln entstanden dem Volkswagen-Konzern aufgrund des Abgasskandals bereits Kosten von insgesamt 32 Milliarden Euro. Weiterhin verhängte die EU-Kommission im Juli 2021 Wettbewerbsstrafen in Höhe von insgesamt 875 Millionen Euro gegen Volkswagen und BMW. Zusammen mit Daimler hatten die Hersteller geheime Absprachen getroffen, die eine bessere Abgasreinigung verhinderten. Obwohl die notwendigen Technologien verfügbar waren, entschieden sich die Hersteller bewusst dagegen, schädliche Emissionen über die Vorgaben der EU-Abgasnormen hinaus zu reduzieren, um einen Wettbewerb darüber zu vermeiden. Zudem wird Volkswagen, wie auch BMW und Daimler, im aktuellen Jahr von Greenpeace und der Deutschen Umwelthilfe verklagt. Angeklagt wird, dass die geplanten Klimaschutzmaßnahmen der Konzerne nicht weit genug gingen und damit nicht den Klimazielen von Paris entsprechen. Die Organisationen wollen erreichen, dass sich die Hersteller verpflichten, nach 2030 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr zu fertigen.

Lebensmittel

Allein die Landwirtschaft und Jagd sowie damit verbundene Tätigkeiten waren 2019 für 10,1 % des Treibhausgasausstoßes aller Wirtschaftszweige verantwortlich. Da die Reduktion der Treibhausemissionen in den vergangenen Jahren etwas ins Stocken geriet, rückten bei der Überarbeitung der gemeinsamen EU-Agrarpolitik im aktuellen Jahr auch vermehrt Nachhaltigkeitskriterien in den Mittelpunkt. Zukünftig sollen voraussichtlich 25 % der Direktzahlungen an Klima- und Naturschutzmaßnahmen geknüpft sein. Da die Reform der Agrarförderung die Auszahlungen bis mindestens 2027 festlegt, fordern Kritiker, einen höheren Anteil der Direktzahlungen an Umweltauflagen zu knüpfen.

Die Landwirtschaft ist aber nicht nur ein großer Emittent von Treibhausgasen, sondern auch stark von den Folgen des Klimawandels betroffen. Landwirtschaftsbetriebe, die im Pflanzenbau oder in der gemischten Landwirtschaft agieren, sind besonders von physischen Risiken des Klimawandels betroffen. Hitzewellen, Trockenperioden oder Überflutungen können zu hohen Ernteausfällen führen. Im besonders trockenen und heißen Jahr 2018 ist durch Ernteausfälle ein Schaden in Höhe von 770 Millionen Euro entstanden. Der gesamte Nahrungsmittelsektor ist bereits stark von Regulierungen in Bezug auf Nachhaltigkeit betroffen und es wird auch weiterhin mit neuen gesetzlichen Vorgaben gerechnet. So wird die Farm-to-Fork-Strategie der Europäischen Kommission die gesamte Landwirtschaft in der Europäischen Union transformieren, was für einzelne Branchen und Unternehmen auch Transitionsrisiken mit sich bringt.

Die Umstellung auf eine nachhaltige Lebensmittelproduktion betrifft beispielsweise die Branchen Schweinehaltung und Geflügelhaltung. Die ökologische Bilanz der Tierhaltung und des Fleischverzehrs, insbesondere die nicht artgerechte Massentierhaltung, ist in den letzten Jahren in die Kritik geraten. Durch die Einführung von Tierwohllabels und weiterer gesetzlicher Vorgaben entstehen den Tierhaltern beispielsweise hohe Kosten, da viele ihre Stallungen umbauen müssen. Konkrete Auswirkungen von nicht ESG-konformen Geschäftstätigkeiten zeigten sich auch in den Branchen Schlachtbetriebe und Fleischverarbeitung. Ein Corona-Ausbruch in einem Betrieb des Tönnies-Konzerns führte später zum Arbeitsschutzkontrollgesetz. Hierdurch wurden unter anderem in der Branche übliche Werk- und Leihverträge verboten und es wurde versucht, Mindestanforderungen für die Unterbringung von Beschäftigten zu etablieren.

Fazit

Die Auswirkungen des Klimawandels und des allgemeinen Nachhaltigkeitstrends sowie die sich daraus ergebende Transformation der Wirtschaft stellen verschiedene Herausforderungen dar, bieten aber auch Chancen. Da ESG-Ratings neben physischen Risiken und Transitionsrisiken noch weitere Nachhaltigkeitsrisiken, denen ein Unternehmen, eine Branche oder ein Sektor ausgesetzt ist, bewerten, können sie einen Hinweis auf zukünftige Wachstumspotenziale oder -risiken geben. Die Bewertung über ESG-Ratings geht über finanzielle Kennzahlen hinaus, wodurch Finanzmittel in nachhaltige Technologien, Projekte, Unternehmen und Branchen fließen sollen, was die Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaft erst ermöglicht.

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